Auch Jamet hatte, mit einem kleinen Trupp der königlichen Garde, den Angriff beobachtet. Nach dem Ende der Kampfhandlungen schickte er die Männer in die Weinberge, um die geflohenen Dorfbewohner zur Rückkehr zu bewegen. Er selbst begab sich ins Dorf und zu Hauptmann Merker, der bereits in der Dorfkirche versuchte, die Gemüter zu besänftigen. Jamet traf ihn schließlich auf dem Kirchplatz.
„Sie wussten, daß es Deutsche sind! Jamet!“ begrüßte ihn Merker.
„Ja, ich ahnte es. Und ich bedauere das Missverständnis, Hauptmann“,
„Ihr Bedauern nützt nun nichts, werter Minister! Ich sollte meinen Kameraden hinterdreinlaufen, daß endlich Schluß ist mit dieser Farce!“,
„Nicht doch, mein guter Merker. Es ist doch alles in bester Ordnung!“,
„Bester Ordnung? Nichts ist in bester Ordnung! Was meinen sie was als nächstes passiert?“
Da trat der Dorfpfarrer hinzu und sagte: „Meine Herren! Herr Hauptmann: Unser Dorf, das ganze Land, ist ihnen zu großem Dank verpflichtet. Sie haben unser aller Leben gerettet. Ohne ihr Eingreifen lägen hier die Toten unseres Dorfes. Es wäre ein Bain de sang geworden!“
Die Dorfbewohner sammelten sich um die drei Männer. Schon ergriffen einige Merkers Hand, um ihren Dank auszudrücken. Einige murmelten „Danke“ und „Merci“ bis einer laut rief: „Viva Hauptmann Merker! Ein Hoch seinen Männern!“ und alle fielen mit ein: „Viva Hauptmann Merker! Ein Hoch seinen Männern!“ und „Hoch lebe die Königin!“
Im allgemeinen Jubel rief Jamet Merker zu: „Na, kommen sie Hauptmann! Jetzt frühstücken wir erst einmal und trinken einen der besten Weine dieser Gegend. Montcave ist Grand Cru Classé müssen sie wissen!“
Das ganze Dorf feierte, als ob es das letzte wäre auf dieser Welt.

Merker und seine Männer ließen alle Zweifel fahren, denn auch sie waren dankbar: Sie hatten ihre Kameraden zwar nicht erkannt, erblickten jedoch Soldaten, deren Lebensmut und Kampfgeist am Boden lag, deren Körper kraftlos und ausgezehrt war, den Angriff kaum erwiderten und ihr letztes Stückchen Leben durch Flucht zu retten versuchten. Sie konnten nicht wissen: Die Fliehenden rannten direkt hinein in das letzte große Schlachten des Krieges: Die Frühjahrsoffensive des Kaiserreichs.
Minister Jamet indes blieb seinen Prinzipien treu: Täuschen, tarnen und verstecken.
Noch in der Nacht ließ er das Dorf evakuieren und, um den Eindruck eines verlassenen Ortes zu verstärken, einige Häuser in Brand setzen. Falls die Deutschen zurückkehren sollten, wäre, außer dem zurückgelassenen Panzerwagen und dem Rest Wein in den Kellern, nichts Lohnenswertes zu holen.
Als die letzten Bewohner Montcaves zum Teil angetrunken und mit den nötigsten Habseligkeiten über den schmalen Pfad den Kamm passierten und hinab nach Cavembourg stiegen, wurde auch der Pfad in bewährter Weise renaturiert. Ein paar Wachen blieben, um den Kamm zu sichern, und begleitet vom Rauch, der noch am Morgen über den Berg landeinwärts trieb, kehrte der Friede nach Cavembourg zurück.
Hintergrund:
Am 11. November 1918 kapitulierte das deutsche Kaiserreich im Wald von Compiègne bei Paris.
Die Frühjahrsoffensive war gescheitert und im Herbst 1918 drohte der deutschen Kriegswirtschaft der Zusammenbruch. Kaiser Wilhelm II. musste, angesichts der revolutionären Erhebungen im Reich, abdanken. Im Mai 1919 unterzeichnete das Deutsche Reich den Friedensvertrag von Versailles und beendete damit den Krieg.
Ein Kommentar zu “1. Weltkrieg Teil 9: Rauch über Cavembourg”