„Das muss doch möglich sein!“, entfuhr es ihm in die kalte Dunkelheit. Eingehüllt vom Mondlicht, das durch die Fenster in den Salon stieg, lag er auf der Chaiselongue und starrte an die Decke. Den ganzen Abend schon hing er seinen Gedanken nach. Es war eine jener hellen Nächte, in der der Schlaf nicht kommen mochte. Doch etwas hatte geschlummert und war nun erwacht. Ein Gedanke, kaum gedacht, entfaltete sich, wie ein Schmetterling die Flügel, und er verstand jedes Detail, hielt an ihm fest. Als er sich noch aufrichtete, sein Fuß nach dem Schalter der Stehlampe tastete und seine Hand nach einem Stift und dem Zeichenblock griff, erkannte er die ganze Pracht. Das Licht der Lampe blendete ihn kurz. Er schlug den Block auf und das weiße Papier blickte ihn erwartungsvoll an. Mit geübtem Schwung, schrieb er: Der geführte Flug – Ein Flugbahnwagen.
Und während es über Heidelberg dämmerte, die Sonne über dem Schlossberg emporstieg, hatte er den Block bis auf das letzte Blatt mit Zeichnungen, kurze Berechnungen und Tabellen gefüllt. Erschöpft und zufrieden blätterte er durch die Seiten. Es war ihm, als ob alles, was er bisher getan, alles gelernte, studierte und erprobte zu diesen Notizen geführt hatte.
Er lehnte sich zurück und schloß seine Augen. Die Frühjahrssonne erhellte bereits den Salon und auf der Straße schepperte jemand mit Eimern.
Gegen zehn weckte ihn seine Haushälterin, als sie in der Küche mit Geschirr hantierte. Es war Sonnabend und er hatte Hoffnung seinen lieben Freund und Kollegen Curt Stedefeld zu treffen….
Stedefeld wohnte etwas außerhalb, ein gutes Stück mit der Straßenbahn und ein besseres Stück zu Fuß. Kruckenberg freute sich schon auf den Fußmarsch, so konnte er alles noch einmal überdenken. Schließlich saß er mit seinem Freund am Mittagstisch. Stedefelds Frau lud ihm einen großen Semmelknödel auf den Teller. Die beiden Töchter lachten. Die Fahrt in die Rheinau, die Ankunft an Stedefelds Haus hatte er verloren in seinen Gedanken und wie in Trance geschafft. Es war ihm, als käme er nun an die Oberfläche, das Lachen hob ihn in die Wirklichkeit zurück. Er blickte in die fröhlichen Gesichter der Mädchen. Die Mutter blickte die beiden streng an.

„Letzte Nacht entstand vor mir das Bild des geführten Flügels. Ein Transportmittel, bei dem ein Propeller getriebener Stromlinienkörper an einer Schiene geführt wird“, erklärte er seinem Freund, als sie sich schließlich bei einer Zigarre im Herrenzimmer einfanden und die nächtens erstellten Notizen betrachteten. „Visionär! Mein Lieber! Visionär“, Stedefeld klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, „Das sollte man erproben, lass mir diese Notizen mal da und ich ergänze das ein oder andere.“
Und Stedefeld ergänzte….
Die nächsten Wochen verbrachten die beiden Ingenieure wie im Rausch. Tagsüber arbeiteten sie eher halbherzig an Luftschiffplänen in den Hallen von Luftschiffbau Schütte-Lanz, ahnend, daß die große Zeit der Luftschiffe wohl vorbei und ihr Arbeitgeber keine Zukunft hatte. Die Nächte verbrachten sie im Kruckenbergschen Arbeitszimmer am Reißbrett und zeichneten.
Seinen Freund hatte Franz Kruckenberg erfolgreich angesteckt.
Stedefeld hatte Verbindungen und kümmerte sich um das liebe Geld. Mit viel Tatendrang und der Euphorie, ein Teil der Zukunft zu sein, überredete er befreundete Kaufleute zu investieren. Schon gründeten sie ihre erste gemeinsame Firma, die „Gesellschaft für Verkehrstechnik“ (G. f. V.).
Sechs weitere Ingenieure stießen dazu, darunter Fritz Heyner und Willy Black.
Und da man möglichst sparsam mit dem investierten Geld umgehen wollte, verlegte man den Sitz der Firma in Kruckenbergs Heidelberger Haus. Schütte-Lanz ließen die beiden Firmengründer endgültig hinter sich. Es war das Jahr 1924 und sie waren überzeugt, mit der Flugbahn an der Zukunft teilnehmen zu können.

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