„Alarm! Tauchen!“ rief ich halblaut nach hinten, als ich das Turmluk zuschmiss und mich auf meinen Sitz fallen lasse: „Bateau steuerbord voraus, nur ein paar hundert Meter.“ Merker leitete sofort den Tauchgang ein und drückt das Tiefenruder hart nach unten. „Direkt aus einer Nebelbank! Nur runter, vite, vite!“ Wir stießen mit aller Kraft in die Tiefe. Das Boot geriet kopflastig und ich rutschte beinahe vom Sitz. „Fünf … zehn … fünfzehn“ flüsterte Merker mit ruhiger Stimme hinter mir. Ich versuchte mit den Beinen Halt zu finden und mich auf meinem Sitz zu drücken. Die Luft wurde dünn*, meine Trommelfelle fingen an zu schmerzen und die Lunge pfiff. Ich stöhnte. Dann schaltete Merker den Diesel aus, Stille umfing uns, dann sprang leise surrend die E-Maschine an. Merker fing das Boot ab und wir kamen in die Waagrechte. Er ließ etwas Luft aus den Flaschen für den Druckausgleich. „Boot ist ausgependelt bei 20 Meter“ flüsterte er. Der Schmerz ließ nach und in den Ohren knackte es, Trotzdem hörten wir, wie die Schiffsschrauben über uns hinweg fuhren. Regungslos saßen wir in dieser engen Büchse und wagten kaum zu atmen.
Als sich das Schraubengeräusch entfernt hatte, fragte er leise „Wie ist hier die Wassertiefe?“, „Wir sind mitten im Kanal. Etwa 50 Meter“ antwortete ich ebenso leise und ergänzte: „Ich glaube, ils ne nous ont pas vu“. Wir warteten noch etwa 30 Minuten, in denen uns die Stille des Meeres wie ein kalter Mantel umhüllte, dann sagte ich leise: „Auf Sehrohrtiefe auftauchen, halbe Fahrt“, „Ay!“ kam es von hinten. Kurz darauf meldete Merker „Boot ist auf Sehrohrtiefe“. Nach einem Rundblick durch das Periskop, meinte ich „Je ne vois rien – auftauchen!“ Merker blies an, startete den Dieselmotor und die Abgase drückten das restliche Wasser aus den Tauchzellen. „Boot ist draußen“ meldete er. Ich stieg auf meinen Sitz und öffnete das Turmluk. Frische Meeresluft strömte herein. „Lassen sie uns wieder auf Marschgeschwindigkeit gehen“, sagte ich, als ich mich durch das Luk schob und mich auf meine Sitzlehne stellte „Kurs au sud – 90 Grad“. Die Nacht war hereingebrochen, doch es hatte aufgehört zu regnen…
Die Stunden vergingen. Da ich mir einen besseren Blick erhoffte, kletterte ich wieder auf die Kanzel, hielt mich am Kompass fest und schaute angestrengt durch das Nachtfernglas. Merker hatte seinen Kopf aus dem Luk gestreckt. Das gedämpfte Licht aus dem Bootsraum beschien ihn von unten. Der Kurshalter, eine einfache Steuerautomatik, hielt das Boot auf dem vorgelegten Kurs. So tasteten wir uns durch die Dunkelheit. Das Meer war ruhig und wir schwiegen. Ab und zu schaute ich nach oben in die Nacht, um ein paar Sterne auszumachen. Doch die hielten sich bedeckt und wir fuhren wie blind nach Süden. Gegen 6 Uhr früh dämmerte es. Mir war kalt, ich war hundemüde, mir fielen die Augen zu. Nun sollten wir nicht mehr weit von der Küste entfernt sein. Vielleicht vier oder fünf Seemeilen. Noch eine halbe Stunde hielt ich es auf der Kanzel aus. „Wir tauchen und machen eine petit repos. Vielleicht manger, d´accord?“ Merker stieg nach hinten auf seinen Platz und ich machte das Luk dicht. Dann leitete er ein schulbuchmäßiges, schmerzfreies Tauchmanöver ein. Tiefenruder leicht nach unten, Diesel aus, Drosselklappen zu, E-Maschine an. Er pendelte das Boot aus und brachte uns fast waagrecht abwärts. Nach etwas mehr als 25 Meter setzten wir sanft auf Grund auf. Ich hatte unser Essen ausgepackt, Brot und Konservenfleisch, etwas Gurke und Karotten. Heißhungrig machten wir uns darüber her, der Tee in den Thermosflaschen war noch warm. Als wir satt waren, holte ich mein kleines Kissen hervor und versuchte es mir, so gut es eben ging, auf meinem Sitz bequem zu machen. Die Luft im Boot filterten Kalkpatronen über ein Umluftsystem, das Merker nun zuschaltete. So konnten wir mindestens 8 Stunden unter Wasser ausharren. Merker überprüfte trotzdem die Funktion der beiden Tauchretter und stellte den Wecker auf 12 Uhr Mittag. Die Müdigkeit übermannte mich. „Gute Nacht Merker“, „Gute Nacht, Königin“ hörte ich ihn, bevor er auf Notbeleuchtung umschaltete und mich der Schlaf holte.
Als der Wecker losging erwachte ich aus einem tiefen Schlummer. Ich hatte überraschend gut geschlafen, auch wenn mir meine Glieder nun schmerzten und ich mich kaum strecken konnte. Es war kalt geworden. Auch der Tee, den mir Merker nun von hinten in einem Becher reichte, war abgekühlt. „Gut geschlafen?“ erkundigte er sich „Oui, erstaunlich gut. Merci für den Tee.“ Wir aßen noch ein paar Kekse und dann gab ich die Anweisung auf Sehrohrtiefe aufzutauchen. Draußen war heller Tag. Das Meer war ruhig und einzelne Wolken trieben über den blauen Himmel. Wir tauchten auf und als ich schließlich wieder auf die Kanzel stieg, konnte ich am Horizont Frankreich erkennen….
…
Hermann Merker und Königin Siegfriede fuhren in Sichtweite der Küste nach Westen ohne von den Befestigungsanlagen des Atlantikwalls bemerkt zu werden. Am Abend des 25. August 1944 passierten sie das noch nicht zerstörte Le Havre und bogen im Schutz der Dunkelheit in die Mündung der Seine ein. Sie wollten, so weit es eben ging, in der Dunkelheit den Fluß hinauf und sich dann nach Paris durchschlagen. Merker wusste, daß die 28. U.S. – Infanteriedivision in Begleitung von General Dwight D. Eisenhower auf ihrem Weg nach Paris nach den beiden U-Bootfahrern Ausschau hielt, aber wo und wann man auf die Amerikaner treffen würde, war völlig ungewiss.
Die Strömung des breiten Flusses im Unterlauf war nicht stark und so kamen sie zügig voran. Am Morgen des 26. August passierten sie die Ruinen des befreiten Rouen. Ursprünglich wollten sie hier an Land gehen und ihr Glück versuchen, doch das schien auf Grund der Zerstörungen aussichtslos. So fuhren sie, manchmal nur knapp unter der Wasseroberfläche, weiter den Fluss hinauf bis zum Dörfchen Orival etwa 30 Kilometer vor der ersten Schleuse. Sie setzten das Boot an einer geschützten Stelle zwischen zwei kleinen Flussinseln in seichtem Wasser auf Grund. Mit Hilfe des kleinen Schlauchbootes, das sie mit einem letzten Rest Druckluft aufgeblasen hatten und im Schlepptau den torpedoförmigen Vorratsbehätter, setzten sie ans naheliegende, westliche Ufer über. Sie verbrachten die Nacht in einem kleinen Wäldchen und marschierten am nächsten Morgen zu Fuß weiter. Bereits am späten Nachmittag des 27. August begegneten sie amerikanischen Einheiten der 28. Infanterie-Division. Nachdem ihre Identität und ihre Geschichte verifiziert worden war, begrüßte sie General Eisenhower aufs herzlichste. Sofort ließ er nach Washington telegrafieren, wo Präsident Roosevelt erleichtert war, als er die Meldung bekam, daß die beiden U-Bootmatrosen zwar völlig erschöpft, doch gesund und munter aufgegriffen waren.
Paris erreichten sie noch in der Nacht.





*Tauchte man die Seehund bei laufendem Dieselmotor, z.B. bei Alarm, wenn es schnell gehen musste, so schloß sich unter Wasser das Schnorchelventil im Zuluftmast. Der Diesel saugte dann Luft aus dem Bootsraum. Dabei entsteht ein Unterdruck, der rasch zu schmerzenden Augen und Ohren, bis hin zu Bewusstlosigkeit führen kann. Das geht so lange, bis der Diesel abgestellt wird oder wegen Luftmangel von selbst ausgeht. Ein Druckausgleich erfolgt über die Druckflaschen, wobei man sehr sparsam mit Druckluft sein musste, denn an Bord befand sich kein Kompressor und man benötigte Druckluft auch zum Auftauchen. Es sind sehr viele der jungen, unerfahrenen Seehund-Besatzungen ohne Fremdeinwirkung, durch Bedienfehler im Tauchvorgang ums Leben gekommen. Von den Besatzungen kehrte nur jede dritte vom Einsatz zurück.
Weitere anschauliche Informationen über das Kleinst-U-Boot „Seehund“ findet man hier: https://uk-muenchen.de/pdfBerichte/seehundBahlmann.pdf
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